Nils Mohl: Henny & Ponger

mixtvision 2022, 320 S., € 18,-, TB 2024, € 12,-, ab 14

Wer möchte eine Liebesgeschichte wie nicht von dieser Welt lesen? So preist sie zumindest schon der Verlag auf dem Buchrücken an. Wie ernst es Autor Nils Mohl aber buchstäblich damit ist, erschließt sich erst peu à peu. Der schüchterne und sehr zurückhaltende Ponger, dessen Aufenthaltsstatus in Deutschland schwierig ist – warum genau klärt sich erst gen Ende – begegnet der vorwitzigen und sehr selbstbewussten Henny in der Hamburger U-Bahn. Beide lesen das gleiche Buch und es gibt diesen einen, fast magischen Moment … Doch dieser endet jäh in einem Polizeieinsatz, Henny verschwindet und Ponger ist noch mehr eingeschüchtert. So leicht lässt sich eine Henny jedoch nicht abschütteln. Mehr soll hier nicht gespoilert werden, denn viel wichtiger als was Nils Mohl erzählt, ist, wie er das tut – nämlich famos, verdichtet und in stakkatoartigen Kürzest-Kapiteln. Dabei zeigt sich stilistisch zum einen der Dichter Mohl, denn wirklich jedes Wort sitzt hier und der Text hat einen bestechenden Rhythmus, der geradezu einlädt, laut gelesen zu werden. Zum anderen gelingt es dem ausgezeichneten Jugendbuchautor Mohl, unaufgesetzt, gänzlich kitschfrei und fast schon schnodderig von den Unsicherheiten der ersten Liebe zu erzählen. (Jana Kühn) Leseprobe

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Xavier-Laurent Petit: Der Sohn des Ursars

Aus dem Französischen von Désirée Schneider, Knesebeck 2022, 240 S., € 15,-, ab 12

Ciprian ist der jüngste Sohn einer Roma-Familie, die seit Generationen als Ursari, als Bärenführer, durch Rumänien zieht. Als Dorfbewohnern sie wieder einmal bedrohen und vertreiben, lassen Sie sich auf das Angebot von zwei Männern ein, nach Paris gebracht zu werden. Doch die Schleuser zwingen sie dort, für sie als Diebe und Bettler zu arbeiten, um ihre „Schulden“ zurückzubezahlen. Das Leben in der Slumbaracke am äußersten Rand der Stadt scheint hoffnungslos, als Ciprian im Jardin du Luxembourg Schachspieler beobachtet. Das Spiel lässt ihn nicht mehr los und als zwei der Spieler seine ungewöhnliche Intelligenz und Begabung entdecken, wendet sich das Blatt.
Xavier-Laurent Petit hat es geschafft, eine hochspannende Geschichte zu erzählen, und gleichzeitig wichtige Themen wie Ausgrenzung, Vorurteile, Menschenhandel und Ausbeutung in sklavereiähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu thematisieren. Jugendliche Leser:innen werden nach diesem Buch sicher mit anderen Augen auf die Roma auch in unseren Straßen blicken. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Josephine Mark: Trip mit Tropf

Kibitz Verlag 2022, 192 S., € 20,-, ab 10

Ein Hase rettet einem Wolf versehentlich das Leben. Laut dem Ehrenkodex der Wölfe muss sich der furchtlose Jäger nun fürsorglich um den ängstlichen Nager kümmern. Absurd genug, aber der Hase ist auch noch schwer krank und hat neben einem meterlangen Medikamentenplan immer einen Tropf für regelmäßige Infusionen dabei. Es wird also kompliziert! Josephine Mark schickt das ungleiche Paar in ihrem Comic auf eine farbenfrohe, dazu anrührende wie urkomische Tour de Force durch Wälder, Gebirge, Motels und Berghütten. Und in Eis und Schnee beginnt der einsame Wolf langsam aufzutauen … Bis dato punktete der Comics-für-Kinder-Verlag Kibitz mit namhaften und beliebten Autor:innen und Zeichner:innen wie Jutta Bauer, Martin Baltscheid, Anke Kuhl und Patrick Wirbeleit. Doch wie sich nun zeigt, entdeckt das Verleger-Team auch so manches noch unbekannte Talent, so wie Josephine Mark mit Trip mit Tropf. Mit wenigen Punkten und Strichen erweist sie sich als Meisterin einer jeden Mimik und Gefühlslage und schafft mit viel Feingefühl eine verblüffend ermutigende Geschichte um einen echten Brocken von Thema. (Jana Kühn) Blick ins Buch

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Michela Tartaglia: Andere Länder, andere Sprüche

Mit Illustrationen von Daniele Simonelli. Aus dem Italienischen von Alexandra Titze-Grabec, Dumont 2022, 136 S., € 18,-
(Una mela al giorno. Proverbi e modi di dire dal mondo, Nomos Edizioni 2020, ca. € 27,80)

Redewendungen in fünf Sprachen lautet der Untertitel dieses äußerst ansprechenden Sprichwörterbuchs. So global die Welt auch geworden sein mag, Redensarten bleiben einzigartig. Während es im Deutschen Bindfäden regnet und im Französischen Seile, sind es im Englischen Katzen und Hunde, gießt es in Italien aus Waschschüsseln, nur getoppt von spanischen Kröten und Schlangen! Dagegen schauen all die fünf Sprachen einem geschenkten Gaul nicht ins Maul, suchen beim berühmten Haar in der Suppe jedoch länderspezifisch ganz andere Dinge an anderen Orten. Auf vergnügliche Weise lassen sich Vergleiche ziehen, Redewendungen anhand der charmanten Illustrationen erraten und spielerisch Idiome dieser Sprachen lernen. Bestens zum Verschenken geeignet. (Stefanie Hetze)

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Kirsten Boie: Heul doch nicht, du lebst ja noch

Oetinger 2022, 176 s., € 14,-, ab 13

Ende Juni 1945 im zerbombten Hamburg. Der Zweite Weltkrieg ist gerade vorbei, die Menschen kämpfen vordergründig mit dem Alltag zwischen Trümmern, mit Hunger, mit durch die vielen Einquartierungen engsten Wohnverhältnissen, aber eigentlich mit den neuen Verhältnissen als Besiegte und mit einem kompletten Wertewandel. Boie porträtiert wie in einem Brennglas drei Jugendliche, die sich auf der Straße fern der Erwachsenen begegnen:  im Mittelpunkt Jakob, dessen jüdische Mutter deportiert wurde, der das Ende des Kriegs nicht wahrgenommen hat, aber aus massivem Hunger sein Versteck in einer Ruine verlässt. Sein Gegenpol Hermann, Ex-HJ-Führer, der immer noch der NS-Ideologie anhängt und der zu seinem Ärger seinen beinamputierten Vater überallhin, auch auf die Toilette, tragen muss. Und dann noch Traute, eine Bäckerstochter, die sich nach Schule und Normalität sehnt und ihren Eltern Brot klaut. In ihrem spannenden zeitgeschichtlichen Roman, der für Jakob ein gutes Ende nimmt, erzählt Kirsten Boie in knappen Szenen abwechselnd aus den drei verschiedenen Perspektiven und von ihren so unterschiedlichen Problemen. Sie bewertet sie nicht. Zusätzlich ausgestattet mit einer Fülle von Erklärungen historischer Fakten können jugendliche Leser:innen selbst zu Einschätzungen dieser Zeit kommen und viele Verbindungen zum Heute ziehen. (Stefanie Hetze)

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Lucia Zamolo: Jeden Tag Spaghetti. Wie es sich anfühlt von hier zu sein, aber irgendwie auch nicht

Bohem Verlag 2022, 128 S., € 16,-, ab 9

(Stand März 2022)

„Woher kommst du?“ wird oft in Gesprächen gefragt. Oft genug wird die Antwort nicht einfach angenommen, sondern gleich nachgefragt: „Okay, aber wo kommst du wirklich her?“. Das macht sauer oder traurig oder verwirrt oder unsicher oder beleidigt … So oder so löst eine solche Frage keine schönen Gefühle aus. Lucia trägt einen ausländischen Namen, ist aber hier geboren und aufgewachsen. Vielleicht liegt es an ihrem Namen, vielleicht sieht sie untypisch aus, die Gründe hinter der komischen Frage sind dem Mädchen nicht klar … Dieses wunderschön illustrierte Buch berichtet über Alltagssituationen eines Mädchens, die vielen Menschen sehr bekannt vorkommen werden. Mit Liebenswürdigkeit und Humor erklärt Lucia Zamolo ziemlich viel über Diskriminierung, Migration und Identität. Raus aus den Schubladen!!! (Giulia Silvestri) Blick ins Buch

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Bianca Schaalburg: Der Duft der Kiefern

Meine Familie und ihre Geheimnisse. avant-verlag 2021, 208 S., € 26,-

(Stand März 2022)

Eine Westberliner Kindheit der 70er zwischen der Wohnung im Märkischen Viertel und Sonntagsbesuchen bei den Großeltern in der nach Kiefern duftenden Onkel-Tom-Siedlung in Zehlendorf. Von der Vergangenheit, von der NS-Zeit wird kaum gesprochen. Das übliche Man-hat-ja nichts gewusst. Als Jahre später Bianca Schaalburg die Schlafzimmermöbel ihrer Großeltern erbt, setzen sie eine große Recherche bei ihr in Gang. Mit ihrer faszinierenden Graphic Novel begibt sie auf die Suche, hinter die familiäre Fassade, also all das Verdrängen, Ausreden und Lügen zu schauen. Immer tiefer gräbt sie, entdeckt Verstörendes, was ihren idyllischen Kindheitserinnerungen zuwiderläuft. Hin und her wechselt sie die Zeitebenen, was sie durch Stilmittel wie die Farbgebung, Wechsel der Moden, der Architektur, der Schauplätze, der Alltagssprache, der Lieder hautnah erfahrbar macht. Das Buch ist zudem wunderschön gestaltet, so glänzen die Stolpersteine golden, gibt es einen Anhang mit weiterführenden historischen, biographischen und kulturellen Informationen. Doch das wirklich Besondere ist, dass ihre Spurensuche und Überlegungen Teil des Ganzen sind, dass sie mit diesem Geniestreich einlädt, auch einmal die eigene Familie und die Gegenwart in den Blick zu nehmen. Eine unbedingte Empfehlung für Jugendliche & Erwachsene. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Giorgia Vezzoli: Period Girl

Settenove 2020, pp. 206, ca € 18,50, dai 10 anni

(aggiornato gennaio 2022)

Hanno tanti nomignoli, alcuni sono buffi, altri servono solo a trovare un modo per non nominarle: le mestruazioni. Acerrimo nemico di tante ragazze, guardate con sospetto e/ o disgusto per secoli, per certe persone arrivano proprio veloce. All’arrivo del temuto primo ciclo Robin ha undici anni e si sente troppo piccola per affrontare tutti i dolori e i malumori del caso. Se non fosse che… presto si accorge che all’arrivo di ogni mestruazione succede in lei qualcosa di molto strano, che le fa sviluppare un potere in grado di curare e far nascere le piante. Period girl è un delizioso, delicato romanzo femminista e ambientalista per ragazze coraggiose. Non è mai troppo presto per diventare magiche! (Giulia Silvestri)

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Ali Benjamin: Die Suche nach Paulie Fink

Aus dem amerikanischen Englisch von Jessika Komina und Sandra Knuffinke. Hanser Verlag 2021, 352 S., € 18,-, TB dtv Mai 2023, € 10,95, ab 11

(Stand Mai 2023)

Gegen ihren Willen ist Caitlin mit ihrer Mutter aus der Stadt aufs Land gezogen und muss in eine kleine Dorfschule in einer verfallenen Fabrikantenvilla gehen. Die Schule ist für sie völlig undurchschaubar, es werden Ziegen gehalten, eigenwillige Unterrichtsstunden abgehalten und es gibt sonderbare Rituale. Für Caitlin noch verwirrender, dass ihre Klassenkamerad:innen einem bewunderten ehemaligen Mitschüler nachtrauern, den sie überhaupt nicht zu fassen kriegt. Jede/r erzählt ihr etwas anderes über diesen Paulie Fink. Ausgerechnet sie soll nun als Jurorin à la TV-Reality Show über eine würdige Nachfolge für ihn entscheiden. Während sie sich aberwitzige Challenges ausdenkt, die seine Persönlichkeit erhellen sollen, kommt Caitlin sich selbst immer näher und in ihrer Schule an.
Ali Benjamins Kinderroman funkelt nur so vor Ideen und Anspielungen (auf die griechische Antike, Shakespeare, die Frauenbewegung, die Welt der Influencer:innen…) und ist dabei komisch, vielschichtig, anspruchsvoll und mitreißend, gerade für Kinder im Zwischendrin-Stadium. Der Kinderroman ist für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 nominiert! (Stefanie Hetze)

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Annika Thor: Der Sohn des Odysseus

Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer, mit Illustrationen von Ishtar Bäcklund Dakhil. Urachhaus 2021, 352 S, € 19,-, ab 11

(Stand Januar 2022)

Was mag wohl Thelemakos während der Abwesenheit seines Vaters erlebt haben? Das erzählt Annika Thor in wunderbar frischem Ton. Wie er auf den Vater wartet, langsam erwachsen wird, die Hoffnung auf eine Rückkehr nicht aufgibt. Als die Situation sich zuspitzt, die Freier seiner Mutter immer dreister werden, muss er all seinen Mut zusammennehmen und für sein Leben, seine Zukunft einstehen. Die Abenteuer des Odysseus fließen über Träume in den Erzählfluss ein, und die großartigen Illustrationen ergänzen den Text aufs Schönste. Lange nicht wurde die Odyssee so spannend für Kinder nacherzählt. (Syme Sigmund)

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