Danteperlen

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An jedem Monatsanfang veröffentlichen wir an dieser Stelle vier persönliche Buchempfehlungen, unsere Danteperlen, denen wir viel Aufmerksamkeit  wünschen.

Im Juli 2022 haben wir zum achten Mal die Danteperlen als schöne gedruckte Broschüre veröffentlicht mit einem prallen Jahr voller Lesetipps für Große und Kleine. Die Broschüren sind kostenlos bei uns erhältlich.

Hier finden Sie unsere aktuellen Danteperlen aus diesem Monat. Stöbern und frühere Empfehlungen lesen können Sie auf den Unterseiten.

... für Erwachsene
Maria Stepanova: Der Absprung
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… für Jugendliche
Eva Rottman: Fucking fucking schön
» Empfehlung lesen

... für Kinder
Anke Kuhl & Moni Port: MUKKEKUKKE
» Empfehlung lesen

... für Erwachsene
Iida Turpeinen: Das Wesen des Lebens
» Empfehlung lesen

 

Maria Stepanova: Der Absprung

Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja, Suhrkamp 2024, 141 Seiten, 23 Euro

Hundertvierzig schmale Seiten, die es in sich haben, die das erzwungene Lebensgefühl wiedergeben,  sich auf absolut gar nichts mehr verlassen zu können.  Selbst eine harmlose Lesereise von A nach B entwickelt sich für die Protagonistin, die aus ihrem Land, das Krieg gegen ein Nachbarland führt, flüchten musste, zu einer Grenzerfahrung. Unterwegs verpasst sie ihren Zug, funktioniert ihr Telefon nicht. Sie strandet in einer Grenzstadt, ohne dass irgendjemand davon weiß. Was ihr erst ein Atemholen verschafft, sie einfach herumstreift und sich ein Hotelzimmer nimmt. Doch die Gedanken, die Erinnerungen, die Wut auf das „Untier“, die Scham lassen sie nicht los, selbst als sie einem Mann durch leere Vorstadtstraßen regelrecht nachstellt. Das, was zu ihrem Exil führte, ist zu übermächtig, drängt immer wieder an die Oberfläche, selbst als sie als zersägte Jungfrau in einem heruntergekommenem Wanderzirkus landet. Doch alles andere als ohnmächtig setzt Maria Stepanova ihre Sprache, ihre Bilder, ihre Gefühle, ihre Phantasie so klug, stark und poetisch ein, dass es tief berührt und gleichzeitig überzeugend demonstriert, dass sie sich ihre Sprache nicht wegnehmen lässt. Und Olga Radetzkaja hat den Roman in ein verdichtetes knappes Deutsch übertragen, das trotzdem die vielen Anspielungen und doppelten Böden aufschimmern lässt. (Stefanie Hetze)

Das bestelle ich!

Eva Rottman: Fucking fucking schön

Jacoby & Stuart 2024, 176 Seiten, 16 Euro

Fucking Fucking schön der Autorin Eva Rottmann umkreist das erste Mal, oder besser die vielen unterschiedlichen ersten Male des Coming of Age aus der Sicht von 12 Teenagern. Aus Gesprächen mit Schüler*innen hat die Autorin Themen, Fragen und Bilder ausfindig gemacht, die sie in zehn erzählten Kapiteln verdichtet. Jeder Text umkreist dabei sehr assoziativ und doch immer greifbar konkret ein Thema – Queerness, Lust oder Netzpornos zum Beispiel, aber auch Flüchtigeres wie atemloses Verliebtsein, Zweifel, Scham oder Reue. Die einzelnen Episoden stehen für sich, sind aber durch immer wieder aufscheinende, dünne rote Fäden miteinander verbunden. Rottmann ist auch Theaterautorin was man den Texten anmerkt – lebendig, sprachintensiv und mit dem Ohr ganz nah dran an der Zielgruppe, szenisch erzählt und aufgebaut. Tatsächlich kann man das Oeuvre Rottmanns als einen Organismus lesen, in dem Figuren und Orte ganz beiläufig immer wieder auftauchen. Deshalb Achtung – Spoileralarm! Wer die Vorgängergeschichten von Eva Rottman – Mats und Milad und Kurz vor dem Rand, übrigens gerade mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet – noch nicht kennt, liest einige Details nicht linear. Das macht aber nichts, denn es ist nahezu egal aus welcher Richtung man die Welt Eva Rottmanns betritt: es macht Fucking fucking Spaß. (Kerstin Follenius)

Das bestelle ich!

Anke Kuhl & Moni Port: MUKKEKUKKE


Reprodukt, 152 Seiten, 20 Euro, ab 5

Mit Musik entstehen Bilder im Kopf. Das dachten sich wohl auch Anke Kuhl und Moni Port und initiierten ein Gemeinschaftsprojekt, dessen Namensliste der teilnehmenden Zeichner*innen sich wie das Who’s Who der hiesigen Kinderbuchwelt liest. Rotraut Susanne Berner, Nadia Budde, Axel Scheffler, Philipp Waechter und noch einige mehr haben in ihrem ureigenen Strich Musikstücke u.a. von den Ärzten, Ludwig van Beethoven und Max Rabe illustriert. Es gibt also wahrlich Klassik, Pop et cetera. Und bunt gemischt sind in den zahlreichen Genres auch die Stimmungen: da wird fröhlich gerangelt, melancholisch das Selbst begrübelt und gemütlich der Abend begrüßt. Das macht Kindern alleine Spaß ist, aber auch für die ganze Familie toll. Auf allen gängigen Streamingportalen findet sich die komplette Playlist zum Buch, und so ist Mukkekukke, wie der geniale Titel es schon sagt, ein echtes Bilder-Hör-Buch. (Jana Kühn)

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Iida Turpeinen: Das Wesen des Lebens


Aus dem Finnischen von Maximilian Murmann, S. Fischer Verlag, 2024, 320 Seiten, 24 Euro

„Einst brauchte die Seekuh keine Angst vor Raubtieren zu haben, doch egal wo sich der Mensch ausbreitet, verschwinden alsbald die großen Arten.“ Davon erzählt Iida Turpeinen in ihrem Debütroman – mitreißend, berührend und klug geht es in vier Zeitkapiteln, die sich über drei Jahrhunderte erstrecken, um Wissenschaftsgeschichte.
1741 entdeckt der Naturforscher Georg Wilhelm Steller die später nach ihm benannte Stellersche Seekuh. Er begleitet die Große Nordische Expedition von Vitus Behring, sie erleiden Schiffbruch und die Besatzung muss auf einer unbewohnten Insel überwintern. Hier sieht und beschreibt der Forscher das friedliebende, gesellige, spielfreudige, riesige und unschuldige Tier ein erstes Mal. Dreißig Jahre später ist die Stellersche Seekuh ausgestorben, ausgerottet von Pelzjägern.
In den weiteren Kapiteln wird von Constance Furuhjelm in Alaska erzählt, die – eher zufällig und against all odds – das Skelett einer Stellerschen Seekuh katalogisiert, von der fast symbiotischen Beziehung zwischen dem Zoologen Alexander von Nordmann und der Zeichnerin Hilda Olsen, die ihm die alternden Augen und Hände ersetzt und das erste Bild einer Stellerschen Seekuh anfertigt, und von vier Brüdern, die ihre Liebe zur Natur verbindet. Einer von ihnen wird später mit der Restaurierung eines Stellerschen Sehkuh Skeletts beauftragt.
Immer wieder geht es um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, Forscherdrang und Faszination, Ausbeutung und Ehrfurcht. Ein spannendes, wenngleich melancholisches Buch. Nach der Lektüre würde man so gerne eine Stellersche Seekuh mit ihrer Familie im Meer spielen sehen … (Katharina Bischoff)

Das bestelle ich!