Jessica J. Lee: Zwei Bäume machen einen Wald

Aus dem Englischen von Susanne Hornfeck, Matthes & Seitz Berlin 2020,  215 S., € 28,-

(Stand März 2021)

Lee_Jessica_J._Zwei_Bäume_machen_einen_Wald_Danteperle_Dante_Connection_BuchhandlungSprachbarrieren gehören zum Alltag der nach Kanada eingewanderten Familie der Landschaftshistorikerin und Autorin Jessica J. Lee. China, Taiwan, Wales und der englischsprachige Teil Kanadas bildeten die Achsen der familiären Prägungen und Zerwürfnisse.
Als Lee Aufzeichungen ihres längst verstorbenen Großvaters, der im Alter allein nach Taiwan zurückgegangen war, erhält, begibt sie sich auf eine intensive Recherchereise, fährt wiederholt nach Taiwan, die kleine Vulkaninsel voller eingezwängter Schluchten, jäh aufragender hoher Berge, unvermittelter Steilküsten und mit einer gigantischen botanischen Vielfalt, auf der Schnittstelle zweier destruktiver tektonischer Platten gelegen. Erdbeben, Erdrutsche und Taifune gehören zur Tagesordnung, die nur schwer zu kartografierende Insel zog seit jeher kolonisatorisches Interesse an. Erwandernd erforscht Lee die geografischen und politischen Besonderheiten dieses extremen Eilands und legt am Beispiel ihrer eigenen Familie eindrücklich dar, wie sich Landschaft konkret auf das Leben von Menschen auswirken kann. Wieder einmal ein großer Wurf der von Judith Schalansky herausgegebenen Naturkunden! (Stefanie Hetze) Leseprobe und Susanne Hornfeck über Zwei Bäume machen einen Wald

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Abdel Hafed Benotman: Müllmann auf Schafott

Aus dem Französischen von Lena Müller, Verlag Matthes & Seitz Berlin 2020, 278 S., € 22,-

(Stand März 2021)

Müllmann_auf_Schafott_Danteperle_DanteConnectionAlle Leser*innen kennen es: Ein Buch beginnt und das erste Kapitel ist einfach unglaublich. Man könnte meinen, das Buch ist schon allein der ersten Seiten wegen lesenswert. Dann liest man weiter und der Text bleibt spannend, die Sprache einzigartig, die erzählten Ereignisse mal brutal, mal lustig, mal tragisch, der Ton mal zärtlich, mal roh und immer sehr ernst.
Dieser autobiografische Roman ist genau so ein Fall: Erzählt wird die Geschichte von Faraht Bounoura, genannt Fafa, und seiner Familie, die kurz nach dem zweiten Weltkrieg aus Algerien nach Frankreich migrierte. Im Paris der 1960er führen Fafa und seine Geschwister ein ziemlich hartes Leben. Gefangen zwischen einem gewalttätigen, ungebildeten Vater und einer labilen Mutter, versuchen die Kinder der Sackgasse zu entkommen. Dies bedeutet nur eines – auf der Straße landen und das Straßenleben ist gnadenlos. Rassismus, Missbrauch, Kriminalität, Knast sind einige der Themen, die dieser stürmische Text thematisiert.
Mit einer Sprache, die an Rap erinnert, gibt Benotman vielen Straßenkindern eine Stimme, die wie ein Ruf nach Liebe klingt. Bücher wie dieses sind selten zu lesen! (Giulia Silvestri)

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Mathias Énard: Der Alkohol und die Wehmut

Aus dem Französischen von Claudia Hamm, Matthes & Seitz 2016, 106 S., € 16,-
(Stand April 2021)

enardMathias Énard kann alle Formate, den großen komplexen Roman wie die kleine verdichtete Literatur. In „Der Alkohol und die Wehmut“ erzählt er auf kaum 100 Seiten vom sehr jungen Mathias, der versucht,  mit Hilfe von Alkohol und Drogen Schriftsteller zu werden. Er folgt seiner Liebe Jeanne nach Moskau und gerät dort in einen heftigen Beziehungs- und Liebestaumel mit ihr und ihrem Geliebten Wladimir. Rauschhaft erinnert sich der Erzähler während der ereignislosen Bahnfahrt gen Sibirien, in der er die Leiche seines Freundes und Rivalen nach Hause begleitet, an ihre Liebesexzesse, seine Eindrücke von Reisen durch Russland, die Gespräche über die Literatur, seine Verzweiflung und seine Faszination. Meisterlich verwebt er all diese Erinnerungsspuren zur Bewusstseinsbildung eines werdenden Schriftstellers. (Stefanie Hetze)

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Roger Deakin: Logbuch eines Schwimmers

Aus dem Englischen von Andreas Jandl und Frank Sievers, Matthes & Seitz 2015, 387 S., € 38,-
(Stand April 2021)

24_deakin_logbuchDie Entscheidung, Großbritannien, sein Heimatland, schwimmend zu erkunden und vom Wasser aus neu zu vermessen, erzeugt beim Autor Roger Deakin große Gefühlswellen. Tatsächlich realisiert er sein Vorhaben und durchschwimmt eiskalte englische Flüsse, Gräben, Tümpel, Meeresbuchten, Wildwasser, Küstenstreifen, Quellen und begegnet dabei nicht nur Fischen aller Art, Ottern, Teichhühnern, Anglern, Müll und vielem vielem Mehr. Mit seinem “Logbuch” toppt er jedwede skurrilen britischen Reiseberichte und plädiert nebenbei für die Freigabe von Gewässern.

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Esther Kinsky, Martin Chalmers: Karadag Oktober 13

Aufzeichnungen von der kalten Krim. Matthes & Seitz 2015, 220 S., 19,90 €

(Stand März 2021)

26_kinsky_karadagEsther Kinsky und ihr Lebensgefährte Martin Chalmers begeben sich im Oktober 2013 auf die Krim, um ihr erstes gemeinsames Buchprojekt zu realisieren. Das Wetter auf der Halbinsel zwischen Europa und Asien, zwischen Sehnsuchtsort und krasser Realität, ist winterlich kalt. Die Landschaft und die Orte sind eher abweisend, halbwilde Pferde, Hunden und Katzen prägen das Bild. Viele Bücher und Filme über die Krim kennen sie, mit im Gepäck haben sie einen Bericht des Engländers Laurence Oliphant aus dem Jahre 1852. Kinsky und Chalmers notieren beide ihre Beobachtungen und Erlebnisse, die aus den gleichen Situationen herrühren, beide beschreiben sie sie auf ihre eigene Art, was einen ungeheuren Reiz ausmacht. Hinzu kommt immer wieder die Stimme Laurence Oliphants. Leider ist dieses Buch das Vermächtnis  Martin Chalmers. Esther Kinsky hat nach dessen Tod seine Textfragmente zusammengestellt und sie mit ihren eigenen kombiniert und ein besonderes Buch zweier Reisender über ein besonderes Stück Welt geschaffen! (Stefanie Hetze)

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Holger Teschke: Heringe

Matthes & Seitz 2014, Reihe Naturkunden, Hrsg. von Judith Schalansky, 119 S., € 20,-

(Stand März 2021)

heringe_danteperle_dante_connectionDem Fisch, dem wir heute meist nur traurig in einem Brötchen oder einer Konserve begegnen, ist der neue Band der Naturkunden gewidmet: dem Hering. Der Autor, auf Rügen aufgewachsen und ehemals Maschinist auf Fischerkuttern, porträtiert den kleinen Fisch, der einst Geschichte machte. Heringe galten als Silber des Meeres, entschieden über Reich und Arm in der Wirtschaft Nordeuropas, machten mit ihren Lauten, den „Heringsfürzen“, Politik. Doch Teschke wendet sich vielen weiteren Aspekten des Herings zu, Fakten wie seine Schwarm-intelligenz, aber auch den vielen Mythen, die sich um ihn ranken. So schön, wie das silbergraue Buch mit seinen ausgewählten Abbildungen gestaltet und ausgestattet ist, müssen in vorindustrieller Fischereizeit die kilometerbreiten und langen Heringsschwärme gewesen sein, die, wenn die Sonne auf sie fiel, das Meer zum Leuchten brachten. (Stefanie Hetze)
Podcast „Heringe umschwärmen mit Holger Teschke“

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Hugh Raffles, Insektopädie

Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Schestag, Hrsg. von Judith Schalansky, Matthes & Seitz 2013, 383 S., € 38,-

(Stand März 2021)

insektopaedie_danteperle_danteconnection… für alle, die schöne Bücher lieben – ein Must-have! Es schillert in grün-lila wie ein Insektenpanzer und dazu passt perfekt ein Kopfschnitt in quietschgelb, wie ihn sich wohl nur eine so geniale Buchgestalterin wie Judith Schalansky traut. So viel zum handschmeichlerischen Leinenaußen dieses ebenso mit seinem Innenleben vollends überzeugenden Buches. Schrift und Abbildungen in dunklem blau und strahlendem grün erzählen von Insekten bzw. von unserem Verhältnis zur Spezies – von A wie Aether bis Z wie Zen. Die Texte variieren zwischen naturwissentschaftlich, philosophisch, wirtschaftlich, anthropologisch, oft gewitzt und unterhaltsam, in jedem Fall so kurios, dass ich in voller Überzeugung sagen kann: Ich habe NICHTS übrig für Insekten und dennoch dieses Buch immer wieder beglückt zur Hand genommen und geblättert und geschmökert! (Jana Kühn)

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Marie-Luise Scherer: Die Hundegrenze

Mit einem Vorwort von Paul Nizon und Fotografien von Oliver Hermann, (Matthes & Seitz 2013), TB Matthes & Seitz, € 10,-

(Stand März 2021)

Ein Kleinod, erstmals im Spiegel 1994 erschienen, ist jetzt wieder in einer berührend schön gestalteten Ausgabe lieferbar. Es geht um die Sperrzone der DDR-Grenze, 5 km breit, nur für Linientreue mit Passierschein betretbar, und das Wachhundesystem auf dem Todesstreifen. Die Hunde wurden an nur 150m kurzen Laufleinen gehalten, jedem Wetter ausgeliefert, abhängig von zufälligen Wasser- und Fleischrationen, dem Wahnsinn ausgesetzt.  Ein ausgeklügeltes System von Hundebeschaffern in nebenerwerblicher Absicht sorgte für den Nachschub: Schäferhundzüchter, Zuchtwarte, sog. Bezirksscheintäter taten sich hervor, um Tiere zu züchten, sie zu verkaufen und scharf zu machen. Scherer stellt diese Soldaten und freiwilligen Grenzhelfer jedoch auch als Menschen mit Gefühlen und Befindlichkeiten dar, womit sie ihren Stoff in eine große eindringliche Tragödie verwandelt.(Stefanie Hetze) Leseprobe

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