Marilynne Robinson: Gilead

Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling, Fischer Verlag 2016, 320 S., TB 2018, € 11,-
(Stand April 2021)

marilynne-robinson-gileadLiteratur kann uns im Glücksfall in Welten und Wahrnehmungen katapultieren, die wir nicht kennen und zu denen wir sonst keinerlei  Zugang haben. „Gilead“ ist so ein Fall. In einem kleinen Ort im tiefen amerikanischen Westen schreibt ein alter protestantischer Geistlicher, der weiß, dass er bald sterben wird, einen langen Brief an seinen kleinen Sohn, um diesem zu erzählen, woher er kommt. Der alte Prediger schildert seine Kindheit als Sohn und Enkel von ebenfalls Pastoren, der eine heftig engagiert im Kampf gegen die Rassentrennung, der andere Pazifist. Er beschreibt das Verhältnis zu seinem atheistischen Bruder und zu seinem Predigerfreund und den herben Verlust, den er durch den Tod seiner ersten Frau und seiner neugeborenen Tochter erlitten hat. Kunstvoll verbindet Marilynne Robertson seine Reflexionen über den Glauben und existentielle Fragen des Seins mit den vitalen Geschehnissen der Gegenwart, die hier nicht verraten werden. Nur noch so viel: Die Geschichte der Mutter des Jungen, seiner zweiten Frau, ist bereits erschienen – „Lila“, auch unbedingt lesen. (Stefanie Hetze)

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Paul McVeigh: Guter Junge

Aus dem Englischen von Nina Frey und Hans-Christian Oeser, Wagenbach 2016, 256 S.
Nur noch als E-Book lieferbar, € 19,99
(Stand April 2021)

paul-mcveigh-guter-junge-dante-connection-danteperleDas katholische Viertel Belfasts ist in den 80er Jahren kein leichter Ort zum Aufwachsen, erst recht nicht, wenn man kein “harter Kerl” ist, sondern ein schmächtiger, sensibler und intelligenter Junge. Stacheldraht und Mauern trennen es vom protestantischen Teil der Stadt, immer wieder gibt es Kämpfe und Bombenexplosionen und die IRA schreibt Gesetz. Es ist der Sommer nach dem Ende der Grundschule. Die Stadt ist für Michey ein erschreckender Ort, die anderen Kinder mobben ihn als Weichei, sein großer Bruder schließt sich der IRA an und seine Hoffnung, auf eine Privatschule zu wechseln, an der es weniger rau zugeht, droht an der Armut der Familie zu scheitern. Doch voller Optimismus und Phantasie fasst der Junge einen Plan, um seine Träume doch noch zu verwirklichen. Ein lesenswertes Buch über eine Kinderseele in Krisenzeiten, heute so aktuell wie je. (Syme Sigmund)

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Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel

Aus dem Englischen von Peter Torberg, Liebeskind 2016, 432 S., € 22,–, TB Heyne 2018, € 10,99
(Stand April 2021)

pollock-himmlische-tafel1917. Während in Europa die Schlachten des Ersten Weltkriegs toben, scheint im Mittleren Westen die Zeit nach dem Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert stehen geblieben und auf den so genannten Fortschritt wartet hier niemand. Drei Brüder sind auf dem Weg nach Kanada, um dort in der Unbekanntheit ein neues Leben zu beginnen. Gerade noch lebten Cane, Cob und Chimney vom Vater zur Demut gezwungen in bitterer Armut, um endlich im Paradies an der Himmlischen Tafel  speisen zu können. Doch nun nach seinem Tod und gänzlich unchristlich pflastern zahllose Raubüberfälle und Leichen ihren Weg gen Norden, sodass sie bald schon als Jewett-Bande von Sheriffs und Kopfgeldjägern verfolgt werden. Knochentrocken, dreckig-düster und bitter-komisch erzählt Pollock vom Hadern wenig heller Köpfe, viel Schwarzgebranntem und einer schier hoffnungslosen Suche nach Glück, auf der buchstäblich so einige Scheiße geschaufelt wird. Das klingt jetzt nicht attraktiv? Oh doch, denn ausgesprochen raffiniert und herrlich detailreich fügt Pollock stetig neue, kuriose Charaktere, groteske Episoden und rasende Erzählstränge zu einem Wahnsinns-”Hillbillie”-Epos zusammen. (Jana Kühn) Leseprobe

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Jakob Hein: Kaltes Wasser

Galiani 2016, 240 S., € 18,99, TB KiWi 2017, € 9,99
(Stand April 2021)

hein_kaltes_wasser_danteperle_danteconnection Friedrich – Fritz – Bender ist ein Blender. Schon als Kind ist  sein wohl größtes Talent seine Fabulierlust. Er wächst in den 1970ern im Osten Berlins als Kind einer Kaderleiterin und eines Professors für Marxismus-Leninismus heran. Doch ihre schale Linientreue ist so gar nichts für den windigen Jungen. Als Agitator denkt er sich für seine Pionier-Mitschüler lieber spannende Anekdoten aus, um die immer gleiche Berichterstattung der Staatsorgane zu umschiffen, und auch als Teenager weiß er mit geradezu hanebüchenden Liebesabenteuern zu beeindrucken. Mit dem Mauerfall könnte sich für Fritz nun gewissermaßen eine Wende ankündigen, doch er findet auch im neuen System schnell die dünnen Bretter und bohrt, was das Zeug hält. Mit einer neuen Identität mausert Fritz sich gar zum wohlhabenden Adligen. Doch das Zeitalter des Internets naht und damit eine Form von allgegenwärtiger Transparenz und Überprüfbarkeit, die selbst Benders Fantasie an ihre Grenzen bringt. Ein überaus vergnüglicher Schelmenroman über eine Zeit des Umbruchs und der Goldgräberstimmung, die so mancher dreist zu nutzen wusste. (Jana Kühn)

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Vincenzo Latronico: Die Verschwörung der Tauben

Aus dem Italienischen von Klaudia Ruschkowski, Secession Verlag 2016, 320 S., € 24,-
(La cospirazione delle colombe, attualmente in Italia non disponibile)
(Stand April 2021)

latronico-verschwoerung-der-tauben-danteperle-danteconnection-italienische-buecher-berlinAlfredo Cannella und Donka Berati lernen sich an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi kennen. Beide sind ambitioniert und ehrgeizig, wobei Donka der vielversprechendere ist. Aber Donka ist Albaner und studiert mit Stipendium, Alfredo hingegen ist Sohn eines erfolgreichen venezianischen Unternehmers. So driften ihre Leben immer weiter auseinander. Spannend entfaltet sich ein Panorama, in dem die Verquickungen von Wirtschaft und Politik, von Profitgier und Skrupellosigkeit Alfredo alle Spielräume eröffnen, während Donka sich an einer Realität abarbeitet, in der ohne Beziehungen, Betrug und Bestechung kein Erfolg möglich ist. Wie viel ist er bereit zu opfern, um doch noch von einer Taube zum Falken zu werden? Ein rasanter Roman über die italienischen (und weltweiten) Machtverhältnisse hinter den Kulissen, der von Klaudia Ruschkowski glänzend übersetzt wurde. (Syme Sigmund)

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Jane Gardam: Eine treue Frau

Aus dem Englischen übersetzt von Isabel Bogdan, Hanser 2016, 272 S., € 21,90, TB dtv 2017, € 10,90
(Stand April 2021)

Gardam_25074_MR.inddAm Anfang steht ein Antrag: Edward Feathers, erfolgreicher Richter der Krone in Hongkong, bittet Elizabeth, Betty, um ihre Hand und sie nimmt an. Doch kaum hat sie diese Entscheidung getroffen, tritt der zweite wichtige Mann ihres Lebens auf, Terry Veneering, der auch vor Gericht Erzrivale ihres zukünftigen Mannes ist. Veneering wird ihre große Liebe, sie entwickelt auch eine besondere Beziehung zu seinem Sohn Harry, doch wird sie diese Liebe nie leben und Edward nie verlassen. Gemeinsam erleben sie schließlich auch den Niedergang der Welt, wie sie sie kannten, das British Empire im Fernen Osten, die beiden Welten die sie als „Raj Waisen“ auf zerrissene Weise in sich vereinen: Eddie Feathers ist als Kind in Malaysia aufgewachsen, Betty in China. Der Roman verwebt Lebens- und Liebesgeschichten auf verschiedenen Zeitebenen, von der Jugend bis zum Alter, spannt ein buntes Panorama an Figuren und Szenarien in England und Asien auf, erzählt von tiefen Enttäuschungen, von Menschen, die dennoch Halt finden und dies auf eine leichtfüßige Weise, mit viel Witz und einem scharfen Blick für die Stärken und Schwächen, die Vielschichtigkeit der Figuren, die nie ganz das sind, was sie scheinen. „Eine treue Frau“ bezieht sich auf den Vorläufer „Ein untadeliger Mann“, kann jedoch auch unabhängig davon gelesen werden. Welchen der beiden Romane man auch zuerst liest, man möchte seine Figuren nicht mehr missen und wird sicherlich zum zweiten greifen und sich auf die Übersetzung des letzten Bandes der Trilogie freuen. (Judith Krieg) Leseprobe

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Donatella Di Pietrantonio: Bella mia

Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Verlag Antje Kunstmann 2016, € 18,95
(Bella mia, Einaudi 2018, ca. € 16,50)
(Stand April 2021)

17_di-pietrantonio-bella-mia-dante-connection-danteperle2009 wurde die süditalienische Stadt L´Acquila durch ein Erdbeben fast völlig zerstört. Der versprochene Wiederaufbau ist auch aufgrund von Korruption und mafiösen Einflüssen bis heute nicht erfolgt. Für die  obdachlos gewordene Bevölkerung ist das Leben in den eilig hochgezogenen Behelfsunterkünften nach Jahren des Wartens zum Dauerzustand geworden.
Caterina, die Ich-Erzählerin, ihre Mutter und Marco, Caterinas Neffe, der bei dem Erdbeben seine Mutter, die Zwillingsschwester von Caterina, verlor, leben zusammen in einer kleinen Wohnung, jeder in seiner ganz eigenen Trauer gefangen. Mit großem Einfühlungsvermögen, ohne Pathos und mit zartem Fingerspitzengefühl erzählt Di Pietrantonio wie die drei wieder ins Leben zurückfinden, Zuversicht, Liebe und den Glauben an eine mögliche Zukunft für sich zurückerobern. Der Text wurde von Maja Pflug mit viel Sprachgefühl kongenial ins Deutsche übersetzt. Ein Buch, das  in all seiner Tragik Mut zum Leben macht. (Syme Sigmund)

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David Grossman: Kommt ein Pferd in die Bar

Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Hanser 2016, 251 S., € 19,90, TB 2017, € 12,-
(Stand  April 2021)

Grossman_25050_MR.inddErwartungsvoll strömt das Kleinstadtpublikum in den Saal, “ein mickriges bebrilltes Männlein” fliegt förmlich auf die Bühne, knallt auf die Bretter, reckt den Hintern hoch, die Leute lachen und applaudieren. Sie wollen sich vom Comedian Dovele unterhalten und ablenken lassen. Ganz anders der Icherzähler, ein verwitweter Richter im Ruhestand. Als Jugendliche hatten er und Dovele Kontakt gehabt, sich dann aber völlig aus den Augen verloren.  Mißtrauisch gespannt ist der Richter der urplötzlichen Einladung des Künstlers gefolgt und wird von Doveles schrägen Witzen und seiner aus dem Ruder laufenden Schau tief in die Vergangenheit hineingezogen, in der er den Freund im Stich gelassen hatte. Im Publikum sitzt aber zufällig noch jemand, eine sehr kleine Frau, die Dovele von früher kennt und ihn völlig aus dem Konzept bringt. Mehr wird nicht verraten. Unbedingt lesen. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Pierre Bost: Bankrott

Aus dem Französischen von Rainer Moritz, Dörlemann Verlag 2015, 260 S., € 20,-

(Stand März 2021)

Bost, Bankrott.inddBrugnon ist Erbe eines großen Familienunternehmens. Impulsiv und unbeherrscht regiert er despotisch in seinem kleinen Reich, schont dabei aber auch sich selber nicht. Die Liebe zu einer jungen Angestellten, die ihn kaltblütig ausnutzt, führt in die Krise bis zur Katastrophe. Pierre Bost, ein Meister der psychologischen Studie und der Gesellschaftsanalyse, zeichnete hier schon 1928 das äußerst aktuell anmutende Bild der Midlifecrisis eines sich bis an die Grenzen des Burnouts verausgabenden Geschäftsmannes, eines Workaholics, ständig in Eile und das Telefon kaum je aus der Hand legend. Sich selbst überschätzend, von einer späten Leidenschaft hinweggerissen und alle Ratschläge in den Wind schlagend schlittert er unerbittlich in den totalen finanziellen und persönlichen Ruin. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Ralf Rothmann: Im Frühling sterben

Suhrkamp 2015, 234 S., € 19,95, TB 2016, € 11,-
(Stand April 2021)

36_rothmann_fruehlingAls tragisch bezeichnete die Antike Situationen, in denen die unausweichliche Notwendigkeit besteht, so zu handeln, dass etwas Verhängnisvolles passiert. Ralf Rothamanns Buch ist in diesem klassischen Sinn ein tragischer Roman. Er versucht, das Kriegstrauma des eigenen Vaters aufzuarbeiten, der mit 17 zusammen mit seinem besten Freund Fiete noch 1944 zwangsrekrutiert und an die Front geschickt wurde. Als Fiete desertiert und gefasst wird, wird Walter ins Erschießungskommando beordert und steht vor der Entscheidung, abzudrücken oder selbst erschossen zu werden. Sein Vater hat nie über seine Erlebnisse gesprochen. Rothmann beschreibt die Schrecken des Krieges mit einer beklemmend dichten, schockierend direkten und gleichzeitig hochpoetischen Sprache. Er hat einen großartigen Antikriegsroman geschrieben, der unter die Haut geht und noch lange nach der Lektüre im Leser Spuren hinterlässt. (Syme Sigmund) Leseprobe

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